Die Frage der Arbeitszeiterfassung ist bereits seit Jahren aufgrund von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie der nationalen Gerichte in der Diskussion. Überwiegend wurde aufgrund einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) spätestens seit letztem Jahr auch bereits generell eine umfassende Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeiten angenommen, obgleich das Arbeitszeitgesetz eine solche Aufzeichnungspflicht bislang nicht vorsieht. Seit Dienstag, 18.04.2023 liegt nun der lang erwartete Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vor. Eins vorweg: Es ist nun zwar der „richtige“ Stein ins Rollen gekommen, weil es dringend einer gesetzlichen Grundlage zur Arbeitszeiterfassung an sich sowie deren Ausgestaltung bedarf, jedoch werden die Inhalte bereits wenige Tage nach Kenntniserlangung von der Praxis kritisiert, so dass sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch Änderungen ergeben können. Insofern soll der nachfolgende Newsletter einen ersten Überblick über mögliche Regelungen geben, das weitere Gesetzgebungsverfahren bleibt jedoch abzuwarten.

Arbeitszeiterfassung nach der Rechtsprechung

Seit einer EuGH-Entscheidung im Jahr 2019 ist die Frage der Arbeitszeiterfassungspflicht in aller Munde und großer Diskussion. Nach Auffassung des EuGHs ergebe sich nämlich eine Pflicht zur Einrichtung eines Systems zur Aufzeichnung der Arbeitszeit durch Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie. Da der Entscheidung ein Sachverhalt aus Spanien zugrunde lag, war umstritten, ob das Urteil auch für Arbeitsverhältnisse in Deutschland galt. Dies vor allem deshalb, weil das deutsche Arbeitszeitgesetz bis heute eine arbeitgeberseitige Aufzeichnungspflicht nur für solche Stunden vorsieht, die über die reguläre werktägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden hinausgehen (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Es besteht also derzeit keine generelle Aufzeichnungspflicht von Arbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz. Eine solche ergibt sich nach aktueller Gesetzeslage nur in bestimmten Fällen, wie etwa bei geringfügig Beschäftigten nach dem Mindestlohngesetz.

Letztes Jahr kam erneut Fahrt auf in der Diskussion um die Arbeitszeiterfassung, nachdem auch das BAG im September 2022 zu der Auffassung gelangte, es bestünde bereits nach den aktuellen gesetzlichen Regelungen eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Arbeitgeber. Zwar ergebe sich diese nicht aus dem Arbeitszeitgesetz, jedoch aus dem Arbeitsschutzgesetz. Konkret wurde auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG zurückgegriffen und auf die dem

Arbeitgeber obliegende Grundpflicht zum Arbeitsschutz der Mitarbeiter. Man könnte fast vermuten, es handelte sich um einen Kunstgriff des BAG, weil der Gesetzgeber trotz mehrfacher Aufforderungen aus der Praxis nach wie vor nicht tätig wurde. Die Entscheidung wurde teils heftig kritisiert, insbesondere weil die Regelung in § 16 ArbZG als speziellere Norm nur die Erfassung bei Mehrarbeit vorsieht und man darüber hinaus auch aus dem ArbSchG keine Aufzeichnungspflichten entnehmen könne.

Referentenentwurf des BMAS vom 18.04.2023 zur Arbeitszeiterfassung

Nun ist der Gesetzgeber tatsächlich aktiv geworden, wenn auch etwas verspätet, weil der Referentenentwurf bereits für das erste Quartal 2023 angekündigt war. In dem Referentenentwurf ist die Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften (insbesondere des Jugendarbeitsschutzgesetzes) in der Weise geplant, dass künftig eine gesetzliche Grundlage für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung der Mitarbeiter vorgesehen ist. Mit der Gesetzesänderung und damit der gesetzlichen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung soll dem Arbeitgeber die Kontrolle der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten erleichtert werden. Weiter heißt es im Gesetzesentwurf, dass damit auch ein Beitrag geleistet werden soll, „um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer flexiblen Arbeitswelt zu gewährleisten“.

Im Wesentlichen sollen künftig folgende Punkte in § 16 ArbZG eingeführt werden:

  • Taggenaue Erfassung der Arbeitszeit: konkret muss die Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit am Ende des Arbeitstages erfolgen.
    • Zu Pausenzeiten findet sich keine explizite Regelung; allerdings wird in der Gesetzesbegründung darauf verwiesen, dass anhand der Erfassung die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Pausen nachgehalten werden kann, so dass in der Konsequenz auch die Pausenzeiten zu erfassen wären.
    • Die taggenaue Aufzeichnungspflicht schließt eine spätere Korrektur von Fehlbuchung oder einer versäumten Buchung nicht aus, wobei die Korrektur möglichst zeitnah erfolgten sollte. Offen bleibt, was dies in der Praxis bedeutet.
  • Elektronische Erfassung der Arbeitszeit
    • Neben gebräuchlichen Zeiterfassungssystemen kommen auch Apps (bspw. auf dem Handy) oder herkömmliche Tabellenkalkulationsprogramme (somit auch Excel) in Betracht.
    • auch die Übergangsvorschriften und Ausnahmen für Kleinbetriebe von der Verpflichtung (siehe unten)
  • Eine Delegation der Verpflichtung an Arbeitnehmer oder Dritte (Vorgesetzte) ist möglich; der Arbeitgeber bleibt aber verantwortlich für die ordnungsgemäße Arbeitszeiterfassung.
    • Eine ordnungsgemäße Information oder Anleitung des Arbeitgebers, wie die Arbeitnehmer bzw. Dritte die Aufzeichnungen zu führen haben, ist somit unerlässlich.
    • Ebenfalls muss der Arbeitgeber die Erfassungspflicht in belegbarerer Weise kontrollieren (zumindest durch regelmäßige Stichproben).
  • Vertrauensarbeitszeit soll weiterhin möglich bleiben, dennoch besteht auch in diesen Fällen die Erfassungspflicht.
    • Es werde auf Arbeitgeberseite lediglich auf die Kontrolle der vertraglichen Arbeitszeit verzichtet, also ob der Arbeitnehmer tatsächlich die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitszeit erfüllt.
    • Der Arbeitgeber hat dabei aber durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden (nach der Gesetzesbegründung beispielsweise durch eine entsprechende Meldung eines elektronischen Zeiterfassungssystems).
  • Auf Anfrage können Arbeitnehmer eine Auskunft zur aufgezeichneten Arbeitszeit erhalten sowie eine Kopie der Aufzeichnungen.
  • Die Nachweise sind für die gesamte Dauer der Beschäftigung, maximal jedoch für 2 Jahre aufzubewahren.
    • Dabei sind datenschutzrechtliche Belange zu berücksichtigen.
  • Durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags durch Betriebsvereinbarung sind gewisse Abweichungen möglich (Öffnungsklausel):
    • Abweichung von elektronischer Form der Aufzeichnung
    • Abweichung von der taggenauen Aufzeichnungspflicht, maximal nach 7 Tagen
    • Entbehrlichkeit der Aufzeichnung bei Arbeitnehmern, bei denen die Arbeitszeit wegen der besonderen Tätigkeitsmerkmale nicht gemessen, nicht festgelegt oder selbst bestimmt werden kann (enger Anwendungsbereich, etwa für Führungskräfte oder Wissenschaftler).
  • Verstöße können eine Ordnungswidrigkeit darstellen, die mit einer Geldbuße bis zu € 30.000,00 geahndet werden können.
  • Übergangsvorschriften nach Staffelung der Unternehmensgröße
    • Generell haben Arbeitgeber ein Jahr Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes für die Umsetzung der elektronischen Zeiterfassung, d. h. sie können bis dahin auch anderweitig (händisch) die Arbeitszeiten erfassen (lassen).
    • Für Arbeitgeber mit 50 – 250 Arbeitnehmern gilt die Übergangsregelung 2 Jahre.
    • Für Arbeitgeber mit 11 – 49 Arbeitnehmern sogar fünf Jahre.
    • Arbeitgeber mit bis zu 10 Arbeitnehmern müssen keine elektronische Arbeitszeiterfassung einführen. Dabei bleibt offen, ob es auf den Arbeitgeber (also das
    • Unternehmen) ankommt oder – wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt – auf den Betrieb (Kleinbetriebsklausel).

Auch ausländische Arbeitgeber ohne inländische Betriebsstätte sowie Arbeitgeber in Privathaushalten sind von der elektronischen Arbeitszeiterfassungspflicht ausgenommen.

Erste Anmerkungen und Hinweise

Daran, dass Arbeitszeiten zu erfassen sind und dies in Zukunft auch verpflichtend gesetzlich geregelt wird, ist nicht mehr zu rütteln. In der Gesetzesbegründung stellt das BMAS auch fest, dass das BAG bereits die Frage des „Ob“ der Arbeitszeiterfassung entschieden habe. Bei der Ausgestaltung und der Umsetzung dieser Verpflichtung (also der Frage des „Wie“) bestünden jedoch noch Unsicherheiten, die der Gesetzgeber klären möchte. Aufgrund von Widersprüchlichkeiten (Unternehmensbezug oder Betriebsbezug bei den Übergangsvorschriften?) und nach wie vor offenen Fragen (bspw. Erfassung Pausenzeiten ja oder nein?), wird der Entwurf bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung kritisiert. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Gesetzgeber die Regelungen auch unter Berücksichtigung einer modernen Arbeitswelt und einer erforderlichen praktischen Umsetzung treffen sollte. Insofern bleibt zu hoffen, dass im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch einige Nachbesserungen und Klarstellungen erfolgen.

Arbeitgeber, die bislang noch keine Zeiterfassung – in welcher Form auch immer – eingeführt haben, sollten dringend für sie geeignete Vorkehrungen treffen, die auch die zuvor aufgeführten Punkte berücksichtigt. Für die Praxis überraschend sind insbesondere die Regelungen zur taggenauen Erfassungspflicht und der Vorgabe des Gesetzgebers zur elektronischen Zeiterfassung (mit Ausnahme der Kleinbetriebe und der Übergangsvorschriften).

Der derzeitige Entwurf berücksichtigt überwiegend Arbeitnehmer-, aber auch die Interessen von Tarifparteien, da für letztere weitreichende Abweichungsmöglichkeiten vorgesehen sind (Voraussetzung ist allerdings die Tarifbindung). Es bleibt zu hoffen, dass im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens einige Punkte nachgebessert werden. Der Entwurf wurde vom BMAS in das Kabinett zur weiteren Abstimmung geleitet.

In jedem Fall bleiben Aufzeichnungspflichten aus anderen gesetzlichen Regelungen, wie etwa mindestlohnrechtliche Aufzeichnungspflichten, von den Regelungen unberührt und bestehen parallel. Der Arbeitgeber kann jedoch eine Aufzeichnung führen, die den Vorgaben unterschiedlicher Rechtsgrundlagen genügt.

Wir werden Sie selbstverständlich über die weiteren Entwicklungen informiert halten. Bei Fragen zu diesem Themenkreis sprechen Sie uns jederzeit gerne an.

Ihre Wipfler Rechtsanwälte